Warum unsere guten Absichten oft nur anders getarnte Fluchten sind
Es gibt zwei große Kräfte, die unsere Gesellschaft am Laufen halten: Idealismus und Egoismus.
Beide scheinen sich zu widersprechen – und doch nähren sie sich gegenseitig.
Wie zwei Pole eines Magneten ziehen sie sich an, stoßen sich ab, und erzeugen ein Feld, in dem wir alle versuchen, halbwegs aufrecht zu stehen.
Der Idealist will verändern, retten, verbessern.
Er glaubt an eine Vision, an eine gerechtere Welt, an Sinn.
Doch während er kämpft, vergisst er oft sich selbst.
Sein Herz brennt, aber irgendwann brennt es aus.
Denn Idealismus ist selten frei von Bedürftigkeit – oft will er beweisen, dass er gut genug ist, dass das Leben einen Sinn hat, dass Opfer Wert haben.
Und so wird aus der edlen Absicht ein stilles Märtyrertum, das sich selbst feiert, während es innerlich zerbricht.
Der Egoist dagegen interessiert sich kaum für Ideale.
Er nimmt, was ihm nützt, und nennt das Realismus.
Er wirkt frei, klar, effizient – doch sein Motor ist derselbe: Angst.
Angst, zu kurz zu kommen. Angst, zu verlieren. Angst, unbedeutend zu sein.
Sein vermeintlicher Pragmatismus ist oft nur eine andere Form von Kontrolle.
Zwischen diesen beiden Polen – Idealismus und Egoismus – schwingt unsere Zeit.
Die einen retten die Welt, die anderen sich selbst.
Und beide übersehen dabei, dass das eine ohne das andere leer bleibt.
Idealismus ohne Selbstbewusstsein wird zur Selbstaufgabe.
Egoismus ohne Ideal wird zur Leere.
Was uns fehlt, ist nicht mehr Idealismus oder mehr Realismus –
sondern Integrität.
Ein Handeln, das weder Flucht noch Beweis ist, sondern Ausdruck.
Nicht „Ich muss die Welt retten“, sondern „Ich bin Teil von ihr – also handle ich“.
Vielleicht liegt die wahre Balance nicht in der Mitte, sondern in der Ehrlichkeit.
Ehrlich zu erkennen, wo unser Helfen eigentlich gefallen will.
Wo unser Ehrgeiz Angst kaschiert.
Und wo wir uns hinter unseren „guten Absichten“ verstecken.
Denn manchmal ist das Ideal nur der schönste Mantel, den die Angst tragen kann.
Und der Egoismus ihr Spiegel, in dem sie sich erkennt.
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